Neujahr
Bis zum Ersten Weltkrieg gab es auch in Kleinscheuern um den Neujahrstag eine Reihe von Bräuchen, von denen danach viele in Vergessenheit gerieten. Einige sind aber bis zur Aussiedlung der letzten Landsleute aus unserem Dorf erhalten geblieben.
Am Abend vor Neujahr (Silvesterabend) kam zu den Kindern der "Gohrstonjel" (Jahresengel), um unartige Kinder in seinem großen Sack "mitzunehmen" oder brave mit Äpfeln und Nüssen zu beschenken. Jugendliche und Erwachsene feierten Silvester im Freundeskreis, in Kränzchen, jeder Einzelne brachte das hierfür notwendige Essen und Getränk selber mit. Allgemein üblich war das Neujahrsblasen der Blaskapelle vom Kirchturm. Das alte Jahr wurde mit Glockengeläute ausgeläutet, bis kurz vor Mitternacht, dann verabschiedete die Blasmusikkapelle mit einem Choral und einem Trauermarsch das alte Jahr. Die Turmuhr schlug die zwölfte Stunde. Wenn der letzte Glockenschlag verklungen war, spielte die Blaskapelle einen flotten Marsch und eine Polka. Die um die Kirche versammelten Dorfbewohner "hüpften" ins neue Jahr und wünschten sich gegenseitig alles Gute. Singend kehrten die Feiernden zu ihrem Party-Lokal zurück.
Am Neujahrstag brachten ausnahmslos alle Kinder bis zum Konfirmationsalter den Nachbarn, den nächsten Verwandten und ganz besonders den Paten ihre Glückwünsche dar; als Gegengabe erhielten sie kleine Geschenke, meist ein Neujahrgebäck oder ein Geldstück. In Kleinscheuern wurden die Neujahrswünsche von alten Reimen begleitet: "Ech wänschen ech en Noi Gohr, iren Kiurenkasten voll, iren Stall voll Schweng, iren Kaller voll Weng, iren Hof voll Vieh, Gottes Segen uch derbaui." (Ich wünsche Euch ein neues Jahr, eure Kornkammer voll, euren Stall voller Schweine, euren Keller voller Wein, euren Hof voll Vieh, an Gottes Segen fehle es nie); oder: "Ech wänschen ech en noi Gohr, ihr Gieß hot gro Hor, ihr Kea hot en krammen Hiuren, git mer en Kretzer, ech ben gefriuren" (Ich wünsche euch ein neues Jahr, eure Ziege hat graues Haar, eure Kuh hat ein krummes Horn, gebt mir einen Kreuzer, ich bin gefroren). Der Neujahrstag war natürlich ein Feiertag, an dem ein Gottesdienst stattfand.
Den Abend verbrachte man im Gemeindesaal, wo von Laienspielern in der Regel ein Theaterstück in Mundart aufgeführt wurde, die Tanzgruppe ihr Können unter Beweis stellte und wo anschließend bei Tanz und fröhlicher Unterhaltung bis in die Morgenstunden gefeiert wurde.
Fasching
Wenn der Winter sich seinem Ende zuneigte, wurden weitere Feste gefeiert, auf die sich alle riesig freuten, vor allem auf das Faschingsfest am Aschermittwoch.
Gelegentlich des Namensfestes der Maria am "Maria-Tag" kamen alle Männer und Frauen aus der Nachbarschaft beim Altnachbar oder Nachbarvater zu einem allgemeinen "Richttag" zusammen. Er war in seinem ersten Teil eine ernste Amtshandlung, ohne besonderen Grund durfte keiner der Nachbarn fehlen.
Im zweiten Teil der Tagesordnung wurde über die bevorstehende Faschingsfeier gesprochen, insbesondere wurde beschlossen, was gekocht, gebraten, gebacken und getrunken wurde. Für den Wein war der Alt- bzw. Jungnachbar zuständig; diese mussten Sorge tragen, dass guter und vor allem genügend Wein für die ganze Nachbarschaft und für die gesamten närrischen Tage zur Verfügung stand.
"Aschermittwoch" wurde bis zum Zweiten Weltkrieg so gefeiert, wie er fiel; nach dem Krieg wurde diese Regel geändert, weil sehr viele Nachbarschaftsmitglieder in staatlichen Betrieben tätig waren. Die Behörden ließen traditionelle Brauchtumsfeste an "Werktagen" nicht zu, somit konnte nur am Wochenende gefeiert werden.
Daher trafen sich dann am Freitag- und Samstagmorgen mehrere Frauen bei der Altnachbarin, um die Speisen (Schweinebraten, Gulasch) vorzubereiten und die berühmte "Hanklich", den Nuss- und Eierstrudel zu backen. Die gesamten Zutaten wurden von den Nachbarinnen mitgebracht.
Am Samstag Abend fand sich dann die gesamte Nachbarschaft beim Altnachbar ein, der seine Wohnung für das Fest bereitstellte. Es wurde gegessen, getrunken, getanzt und gelacht, bis in die frühen Morgenstunden.
Den Höhepunkt der Fassnacht bildete allerdings der am Sonntag stattfindende Faschingsumzug durch die Gemeinde. An diesem Tag war alles auf den Beinen, was laufen konnte; die größte Begeisterung war unter den Kindern zu verzeichnen. Jede Nachbarschaft versuchte, irgendein Programm vorzubereiten und dieses bei den übrigen Nachbarschaften vorzuführen; an diesem Tag wurden die Lachmuskeln vieler Zuschauer arg strapaziert. Zurückgekehrt ins Haus des Nachbarvaters, feierte man natürlich weiter. Von der "Hauptveranstaltung" übrig gebliebene Speisen und Getränke wurden bei der Nachfeier am Abend restlos verzehrt. Dieses Fest - als gesellschaftliches Ereignis - hat sich erwiesenermaßen den meisten der daran Beteiligten tief ins Gedächtnis eingeprägt.